MS, EBV und kritische Einschätzungen I (Allgemeines)

Boggy, Sonntag, 12. November 2023, 12:51 (vor 331 Tagen)

Da ich kürzlich wieder einen MS-Arzt das Mantra des "32-fachen MS-Risikos durch EBV" runterbeten gehört habe, ohne jegliche Relativierung - eine Behauptung, die bekanntermaßen in der "Harvard-Studie in "Science" von 2022 aufgestellt wird, habe ich nochmal genauer nachgelesen, und zwar in den füher schon erwähnten "eLetters", die der Veröffentlichung anghängt sind, und in denen andere Wissenschaftler, zum Teil eben auch kritisch, kommentieren.

Obendrein fiel mir auf, daß in den letzten Diskussionen in verschiedenen Foren, oft von der "EBV-Hypothese" gesprochen wird, und ich weiß beim besten Willen nicht, wie die denn aussieht. Gibt es da eine einheitliche, die dabei auch noch aussagekräftig und schlüssig ist, und die die vorhandenen, fragmentarischen Einzelergebinsse widerspruchsfrei verbindet? Ist mir nicht bekannt.

Wie dem auch sei.
Ich habe nun die "eLetters" nochmal in Ruhe durchgelesen und ein paar Auszüge mit kritischen Einschätzungen übersetzt, und poste die nun hier.

Quelle:
https://www.science.org/doi/10.1126/science.

Diese kritischen Stimmen zur Studie findet man in den "eLetters" am Ende des Artikels.
Der Einfachheit halber zitiere ich die jeweiligen Antworten aus den eLetters nur mit dem Datum (alles meine Hervorhebungen):

Nr. 1.
May. 15, 2022
"Die begrenzte Häufigkeit der serologischen Tests und das Fehlen von MRT bedeutet, dass diese Studie nicht schlüssig beweisen kann, dass eine EBV-Infektion eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung von MS ist. Obwohl angenommen wird, dass eine seronegative Person mit MS möglicherweise fehldiagnostiziert wurde, wird 7,5 % der MS vor dem Alter von 20 Jahren diagnostiziert (6), und in einer kürzlich durchgeführten Studie mit 356 pädiatrischen MS-Fällen mit einem Durchschnittsalter von 15,2 Jahren waren 8,2 % der Fälle EBV-seronegativ (7)."

Nr. 2.
Mar. 21, 2022
"Björnevik et al. legen nahe, dass das Epstein-Barr-Virus (EBV) eine Hauptursache für Multiple Sklerose ist (1). Ihre wichtige Studie steht im Einklang mit anderen großen Studien, die gezeigt haben, dass eine EBV-Seropositivität ein herausragender Risikofaktor für MS ist (2-4). Wir halten die Hauptschlussfolgerungen für richtig, möchten aber darauf hinweisen, dass die Schätzung des Risikokennwerts immer noch auf einer kleinen Zahl zuverlässig untersuchter Fälle und Kontrollen beruht."
(...)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach wie vor Bedarf an Studien besteht, die den neuesten Stand der Wissenschaft in Bezug auf EBV-Infektionen in Kombination mit Genetik nutzen, um die Stärke der Verbindung und das Ausmaß der Verfälschung durch eine mögliche Rückverursachung abzuschätzen.

Nr 3.
Feb. 2, 2022
"Wir sind der Ansicht, dass einige der von den Forschern gezogenen Schlussfolgerungen weiterer Untersuchungen bedürfen.

Aus der starken Beziehung zwischen MS und EBV-Serokonversion wird eine wahrscheinlichkeitstheoretische Kausalbeziehung abgeleitet.
Es stellt sich also die Frage, warum eine EBV-Infektion nicht bei allen infizierten Patienten zu MS führt:

Ist es (A) die Folge zufälliger molekularer und zellulärer Ereignisse, oder (B) dass die EBV-Infektion bei genetisch veranlagten Personen einen "zweiten Treffer" darstellt, der zu einer Lymphoproliferation führt, die sich als Krebs(3) oder Autoimmunität (4) manifestiert?

Es ist bekannt, dass die genetische Veranlagung durch Hunderte von genetischen Anfälligkeitsloci(5) und Umweltfaktoren (z. B. Rauchen, Fettleibigkeit) (6) modifiziert wird, die isoliert betrachtet nur einen geringen Beitrag zum Risiko leisten.

Diese Faktoren existieren in kombinatorisch großen und einzigartigen Konfigurationen bei Individuen mit Wirkungen, die multiplikativ in nicht-trivialen Größenordnungen interagieren(7). Wichtig ist, dass bei den Bemühungen, die Auswirkungen dieser Wechselwirkungen zu erkennen, der Beitrag der Umwelt außer Acht gelassen wurde (8) und dass die Größe der verfügbaren Kohorten eine Einschränkung darstellt."

Nr. 4.
Jan. 26, 2022
"Auswahlverzerrungen können jedoch auch in Beobachtungsstudien zu falschen Assoziationen führen2 und könnten in dieser Studie von Bedeutung sein, da sie auf erwachsenen US-Soldaten basierte. Da eine Berücksichtigung anderer potenzieller Störfaktoren (z. B. Vitamin-D-Zufuhr und Body-Mass-Index) fehlte, könnten diese zu der sehr hohen Risikoquote (32) beigetragen haben, wenn auch mit Unschärfe (95 % Konfidenzintervall: 4 bis 245)."

Nr. 5.
Jan. 25, 2022
"In der wissenschaftlichen Literatur werden zufällige ZNS-MRT-Anomalien, die stark auf MS hindeuten, ohne dass eine typische Symptomatik vorliegt, gut beschrieben.(2-4)

Das Radiologically Isolated Syndrome Consortium hat gezeigt, dass bei 34 % der erwachsenen RIS-Patienten innerhalb von 5 Jahren nach dem auffälligen MRT-Scan(5) und bei 51 % innerhalb von 10 Jahren(6) klinische MS-Symptome auftreten, einschließlich der direkten Entwicklung zu einer progressiven MS(7), was auf eine lange Latenzzeit zwischen dem noch unbekannten biologischen Ausbruch und dem klinischen Ausbruch der Krankheit hinweist.

(Fortsetzung im nächsten Beitrag, II)

(bitte tags setzen: EBV, Epstein-Barr-Virus

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Um unserer persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit willen müssen wir immer wieder die Saat des kritischen Verstandes und des begründeten Zweifels säen.

Tags:
EBV, Epstein-Barr-Virus


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