Der EBV-MS-Hype - und nun? II (Allgemeines)

Boggy, Donnerstag, 15.12.2022, 15:06 (vor 495 Tagen)

Seitdem sind mehrere Studien zum Thema EBV und MS ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten.
Z.B. auch diese:

Quelle:
https://rupress.org/jem/article/219/11/e20220650/213431/Broader-Epstein-Barr-virus-spec...

Journal of Experimental Medicine:
September 01 2022
"Broader Epstein–Barr virus–specific T cell receptor repertoire in patients with multiple sclerosis
In Special Collection: Tolerance and Autoimmunity", Tilman Schneider-Hohendorf et. al.

"Breiteres Epstein-Barr-Virus-spezifisches T-Zell-Rezeptor-Repertoire bei Patienten mit Multipler Sklerose.
(...)
In großen epidemiologischen Studien wurde gezeigt, dass die EBV-Serokonversion den klinischen Anzeichen der Multiplen Sklerose (MS) vorausgeht (Bjornevik et al., 2022; Levin et al., 2010), was bestätigt, dass eine EBV-Infektion für den Ausbruch der Krankheit und die damit verbundene Schädigung des zentralen Nervensystems (ZNS) notwendig, aber nicht ausreichend ist."

Ob die EBV-Infektion tatsächlich eine "notwendige" Voraussetzung für MS ist, halte ich im Gegensatz zu diesen Autoren für NICHT bestätigt.

Zum Originalartikel gibt es eine gut lesbare Pressemitteilung:
https://www.medizin.uni-muenster.de/fakultaet/news/multiple-sklerose-analysen-aus-muens...

Hier wird im Gegensatz zum Originalartikel weitaus vorsichtiger formuliert:
"Die Suche nach den Auslösern der Krankheit gleicht einer Interpol-Fahndung nach einem Verbrecherkartell. Spuren sind rar und, wenn vorhanden, oft nicht eindeutig. Ein „Einzeltäter“ ist eher auszuschließen – jedoch hat die Wissenschaft neben genetischer Veranlagung immer wieder einen weiteren Verdächtigen im Visier: das Epstein-Barr-Virus (EBV). Eine Infektion damit könnte nicht nur zeitlich der Entwicklung von MS vorausgehen – sie könnte ein ursächlicher Faktor für die schädlichen Prozesse sein, die bei der MS im Nervensystem ablaufen."

Und nun zur Studie selbst:
"Eine Untersuchung von Neurologen der Universität Münster lässt vermuten: Die T-Zellen, die bei MS ins Nervensystem einwandern, könnten ursprünglich vom Epstein-Barr-Virus dorthin gelockt werden (...)"

Dann folgt wieder die große Keule der anscheinenden Bedeutsamkeit der Harvard-Studie => 10 Millionen!

"Wiederaufgerollt wurde der „Fall“ im Januar dieses Jahres. Damals war eine retrospektive Studie erschienen, die auch Prof. Nicholas Schwab und sein Team aufhorchen ließ. Daten von mehr als zehn Millionen Angehörigen des US-Militärs hatten gezeigt: Jeder, der im Beobachtungszeitraum mit MS diagnostiziert wurde, hat vorher Antikörper gegen EBV entwickelt. Der für MS charakteristische Nervenschaden entstand erst nach dem Auftreten von EBV-Antikörpern im Serum."

Daß nur 32 Personen als Grundlage der Studie übrig geblieben sind, wird wieder ausgelassen.
Nun gut. Weiter.

"MS-Patienten haben mehr unterschiedliche, gegen EBV gerichtete T-Zell-Rezeptor-Sequenzen im Blut als Vergleichspersonen. Die zelluläre Immunantwort gegen EBV ist also bei MS-Patienten vielfältiger, erläutert der Erstautor der Studie, Dr. Tilman Schneider-Hohendorf: (...)

Zudem produziert das Immunsystem von MS-Patienten offenbar kontinuierlich neue EBV-spezifische T-Zellen, die dann vom Blut ins Gewebe auswandern.
(...)

Aber warum ist die Immunantwort gegen das Epstein-Barr-Virus bei MS-Patienten breiter?

Um dieser Frage nachzugehen schauten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genauer auf die Strukturen des Virus, die von T-Zellen gesunder und erkrankter Spender erkannt wurden. (...) Ist das Virus hingegen im Körper aktiv, verwendet es andere Bausteine seines Genoms als bei der Latenz – man spricht vom lytischen Zyklus. Die Arbeitsgruppe fand auf T-Zellen im Nervenwasser von MS-Patienten häufiger Rezeptoren gegen lytische EBV-Merkmale, ein Zeichen dafür, dass das Virus aktiv war.
(...)

Prof. Heinz Wiendl, Direktor der Uniklinik für Neurologie in Münster, fasst die Erkenntnisse zusammen: „Unsere Studie legt nahe: T-Zellen, die bei MS ins Gehirn einwandern, sind möglicherweise auf der Suche nach aktiven EBV-Herden. Stimmt das, müssten nicht nur im Nervenwasser, sondern auch im Gehirn von MS-Patienten vermehrt EBV-spezifische T-Zellen zu finden sein“. Diese Frage wollen die Forscher in einer weiteren Analyse beantworten. Sollte sich ihre Annahme bestätigen, könnte wiederkehrende EBV-Aktivität im Gehirn an der Entstehung neuer Krankheitsschübe bei MS-Patienten beteiligt sein."

Erfreulich finde ich, daß hier die Vorläufigkeit der Ergebnisse, und die offenen Fragen, deutlich ausgesprochen werden.
Wie ich es verstehe, haben MS-Patienten eine andere Immunantwort auf EBV als Nicht-MSler. Und die Frage lautet: Warum? Und was bedeutet das? Es scheint also so, als ob es eine Wechselwirkung zwischen EBV und MS gibt.
Eine offene Frage für mich dabei ist: liegt das an der MS, löst also die Tatsache, daß ich MS habe, eine andere Auseinandersetzung mit EBV aus, als bei Nicht-MSlern; oder hat die EBV-Infektion, speziell wenn sie wieder aktiviert wird, Auswirkungen auf die MS.

Ich halte die Fragen um EBV und MS noch für in weiten Teilen ungeklärt,
und hoffe, daß das nicht nur an meinem laienmäßigen Unverständnis und meinen inzwischen vorhandenen, kognitiven Unzulänglichkeiten, oder an meinen mangelhaften Kentnissen der Studienlage zu EBV-MS liegt.

Ich freue mich daher über Korrekturen und/oder Ergänzungen.

Gruß
Boggy

(Könnte der freundliche Hausmeister wieder Tags setzten: EBV, Epstein-Barr-Virus )

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Um unserer persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit willen müssen wir immer wieder die Saat des kritischen Verstandes und des begründeten Zweifels säen.

Tags:
EBV, Epstein-Barr-Virus


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