Neues von Gregor (X) (Straßencafé)

stefan ⌂ @, Berlin, Dienstag, 15.06.2021, 08:30 (vor 1040 Tagen)

Gregor fiel es wie Schuppen von den Augen.
Es hatte sich nichts ereignet. Alleine der Glaube an jede selbst geschaffene Realität ist die Hölle.

Wir leben immer im Hier und Jetzt, und diese Erfahrung ist stets neu und unmittelbar. Da gibt es keine Bilder und keine Geschichten, keine Vergangenheit noch Zukunft.

Mit der Welt eins werden, unmittelbar alles auf sich wirken lassen, tief und tiefer in die eigenen Gefühle eintauchen, fallen, Angst und Schmerz, Verwunderung groß werden, dann loslassen können, sie verbrennen. Das eigene Ich ablegen, die Identifikation mit dem eigenen Körper beenden. Die eigene Vergangenheit ablegen, keine Pläne mehr zu machen. Der Schmerz lässt auch wieder nach, so gibt es Heilung, Bewusstsein, Frieden. Glück.

Hier und Jetzt.

Neues von Gregor (X)

Karo, Dienstag, 15.06.2021, 17:12 (vor 1039 Tagen) @ stefan

"Frühmorgens im Bett: Ich versuche mich von dem Gedanken, verrückt zu werden, eigentlich bereits verrückt zu sein, zu befreien, indem ich mir alles, was gerade geschieht, so erzähle, als sei es bereits geschehen. Es ist eine Art Automatismus. Mir fällt nichts Besseres ein. Das Erzählen macht mich müde. Ich hoffe, noch einmal einzuschlafen und wieder 'normal' zu erwachen."

Aus: Frank Witzel: Erhoffte Hoffnungslosigkeit. Metaphysisches Tagebuch II. Berlin: Matthes & Seitz 2021. S. 9.

Fliehen, wo innehalten wichtig sein kann

stefan ⌂ @, Berlin, Mittwoch, 16.06.2021, 05:22 (vor 1039 Tagen) @ Karo

"Frühmorgens im Bett: Ich versuche mich von dem Gedanken, verrückt zu werden, eigentlich bereits verrückt zu sein, zu befreien, indem ich mir alles, was gerade geschieht, so erzähle, als sei es bereits geschehen. Es ist eine Art Automatismus. Mir fällt nichts Besseres ein. Das Erzählen macht mich müde. Ich hoffe, noch einmal einzuschlafen und wieder 'normal' zu erwachen."

Aus: Frank Witzel: Erhoffte Hoffnungslosigkeit. Metaphysisches Tagebuch II. Berlin: Matthes & Seitz 2021. S. 9.

Liebe Karo,

Ich finde, dein Zitat zeigt wundervoll jeden Holzweg auf: Denken, also jenem Impuls im Moment nachzugeben, nicht beim aktuellen Gefühl zu bleiben, was gerade in diesem Augenblick eben da ist, sondern in eine Gedankenwelt zu flüchten.

In gewisser Weise beschreibt das Zitat in meinen Augen genau den Prozess, ist Teil davon, von einem „verrückt werden“ bzw es dann in dem Moment zu sein.

Wenn es frühmorgens eine Angst gibt, dann gibt es eine Angst und ich sehe in solch einem Moment gerade eine Chance, mich unmittelbar zu erleben. Versuche bei jener Angst zu bleiben.

Ach das Denken nervt..., all die Worte.

Ich wünsche Dir einen unmittelbaren Tag!

Stefan

Wahnsinn, oder?

Karo, Mittwoch, 16.06.2021, 09:03 (vor 1039 Tagen) @ stefan

"Frühmorgens im Bett: Ich versuche mich von dem Gedanken, verrückt zu werden, eigentlich bereits verrückt zu sein, zu befreien, indem ich mir alles, was gerade geschieht, so erzähle, als sei es bereits geschehen. Es ist eine Art Automatismus. Mir fällt nichts Besseres ein. Das Erzählen macht mich müde. Ich hoffe, noch einmal einzuschlafen und wieder 'normal' zu erwachen."

Aus: Frank Witzel: Erhoffte Hoffnungslosigkeit. Metaphysisches Tagebuch II. Berlin: Matthes & Seitz 2021. S. 9.


Liebe Karo,

Ich finde, dein Zitat zeigt wundervoll jeden Holzweg auf: Denken, also jenem Impuls im Moment nachzugeben, nicht beim aktuellen Gefühl zu bleiben, was gerade in diesem Augenblick eben da ist, sondern in eine Gedankenwelt zu flüchten.

In gewisser Weise beschreibt das Zitat in meinen Augen genau den Prozess, ist Teil davon, von einem „verrückt werden“ bzw es dann in dem Moment zu sein.

Wenn es frühmorgens eine Angst gibt, dann gibt es eine Angst und ich sehe in solch einem Moment gerade eine Chance, mich unmittelbar zu erleben. Versuche bei jener Angst zu bleiben.

Ach das Denken nervt..., all die Worte.

Ich wünsche Dir einen unmittelbaren Tag!

Stefan

Du versuchst, bei jener Angst zu bleiben?

Das ist voraussetzungsvoll, schon weil es bedeutet, dass du "Angst" als Gefühl, das genau in diesem Moment für dich maßgeblich ist, erkennen musst.

Das ist Reflexion, keine Unmittelbarkeit.

Und der Versuch, dabei zu bleiben, bedeutet, dass du steuernd eingreifst oder eingreifen willst.

Auch das ist Reflexion, keine Unmittelbarkeit.

Und dann reflektierst du womöglich darauf, ob der Versuch gelungen ist oder schon im Ansatz verfehlt, weil das Angstgefühl flüchtig war und schon längst einer Freude über den neuen Tag gewichen ist.

Das könnte heißen: immer beobachten, immer auf der Lauer liegen, was jetzt gerade gefühlt wird. Wie anstrengend.

Das Buch ist gut, anregend, weil es versucht, genau solche Prozesse schreibend einzufangen, wohl wissend, dass schon das Schreiben bedeutet, die Unmittelbarkeit des Empfindens zu verlassen. Alles andere wäre Wahnsinn, also wie Wahnsinn beschreiben?

Erleben, Empfinden, Erkennen, Reflektieren, Denken, Sprechen usw. - all das gehört zur Unmittelbarkeit, zum Hier und Jetzt.

Erhoffte Hoffnungslosigkeit eben, unmittelbar, komplex und widersprüchlich.

Alles andere ist Wahnsinn, oder?

Andere

stefan ⌂ @, Berlin, Mittwoch, 16.06.2021, 11:58 (vor 1038 Tagen) @ Karo

Die erste Frage ist glaube ich: was fühle ich jetzt?

Dann diesem Gefühl einen Namen geben, eine große Auswahl gibt es da nicht, und an der Stelle wahrscheinlich dann die Reflexion stoppen, bei dem Gefühl bleiben, allenfalls bei dem Namen.

Was mich gerade mehr beschäftigt ist die Frage: wie „sekundär narzisstisch“ ist das ganze? Alleine im Gefühl bleiben, auch alleine nachdenken, ...wo sind die anderen? Welche Bedeutung haben andere?

Das scheint mir eher auf eine gewisse Form von „Wahnsinn“ hinzuweisen, zu glauben, ich sei autark, könnte das alles mit mir alleine ausmachen.

Der gelebte Augenblick mag dunkel sein, erst mal sprachlos, aber was sind wir ohne die andern?

Andere

W.W. @, Mittwoch, 16.06.2021, 12:43 (vor 1038 Tagen) @ stefan

Lieber Stefan,

ich glaube, das, was wir direkt erleben ist sprachlos. Wenn wir versuchen, es in Worte zu fassen, ist es weg, wie wenn wir erst einmal unsere Kamera suchen müssen, um die Anmut eines Rehs zu knipsen.

Wolfgang

PS: Ich denke auch gerade viel um über die Unmittelbarkeit nach - und dass wir sie nicht mitteilen können. weil die Sprache kein Spiegel des Denkens ist.

Andere

Boggy, Mittwoch, 16.06.2021, 13:11 (vor 1038 Tagen) @ stefan

Was mich gerade mehr beschäftigt ist die Frage: wie „sekundär narzisstisch“ ist das ganze? Alleine im Gefühl bleiben, auch alleine nachdenken, ...wo sind die anderen? Welche Bedeutung haben andere?

Eins nach dem Anderen.
Das Eine schließt die Anderen nicht aus.

Gruß
Boggy
flowers

--
Um unserer persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit willen müssen wir immer wieder die Saat des kritischen Verstandes und des begründeten Zweifels säen.

Kurzfassung

Karo, Mittwoch, 16.06.2021, 13:50 (vor 1038 Tagen) @ Boggy

Was mich gerade mehr beschäftigt ist die Frage: wie „sekundär narzisstisch“ ist das ganze? Alleine im Gefühl bleiben, auch alleine nachdenken, ...wo sind die anderen? Welche Bedeutung haben andere?


Eins nach dem Anderen.
Das Eine schließt die Anderen nicht aus.

Gruß
Boggy
flowers


Klug, schön und knapp formuliert! Vor allem: knapp! Fast schon beneidenswert! Und das Beste daran: Nichts geht verloren. Das beherrscht kaum jemand so sicher und elegant wie Bhogivius d.Ä.

Aber Bhogivius d.Ä. weiß auch: Wer lang schreibt, kann sich nicht kurz fassen. Und er verzeiht.

flowers :-)

Kurzfassung

Boggy, Mittwoch, 16.06.2021, 14:54 (vor 1038 Tagen) @ Karo

flowers :-)

flowers

:wink:

--
Um unserer persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit willen müssen wir immer wieder die Saat des kritischen Verstandes und des begründeten Zweifels säen.

Porzellanfiguren, magische Schwerter

Karo, Mittwoch, 16.06.2021, 13:44 (vor 1038 Tagen) @ stefan

Die erste Frage ist glaube ich: was fühle ich jetzt?

Dann diesem Gefühl einen Namen geben, eine große Auswahl gibt es da nicht, und an der Stelle wahrscheinlich dann die Reflexion stoppen, bei dem Gefühl bleiben, allenfalls bei dem Namen.

Mit dem Namen ist es schwierig, etwas benennen oder ansprechen oder "beim Namen rufen" wie in Jesaja 43,1 ist das wohl stärkste Empfinden, Erleben, Durchdringen, Erkennen und vor allem: Sich-zu-eigen-machen, das ich mir vorstellen kann. Jemandem bei seinem Namen zu rufen - das ist unmenschlich, eine Anmaßung, ein Gewaltakt, eine Ungeheuerlichkeit.

Was mich gerade mehr beschäftigt ist die Frage: wie „sekundär narzisstisch“ ist das ganze? Alleine im Gefühl bleiben, auch alleine nachdenken, ...wo sind die anderen? Welche Bedeutung haben andere?

Darüber nachzudenken finde ich viel interessanter als die Frage nach dem Namen. Wo die anderen sind, scheint mir klar, sie sind immer schon da - im Vergangenen, das in der Gegenwart nachwirkt und ggf. auf das Künftige einwirkt, egal ob bewusst / gesteuert oder nicht.

Bleibt zu fragen, wer die anderen sind - und da bin ich vor einiger Zeit auf einen viel versprechenden Roman gestoßen, den ich bald lesen will - Maria Stepanova: Nach dem Gedächtnis. Suhrkamp: Berlin 2018.

Der Roman verhandelt literarisch die Frage, ob sich aus "[] Briefen, Fotos, Porzellanfiguren die Gestalt der Vergangenheit rekonstruieren [lässt]? Welchen Bildern ist zu trauen? Welchen Zeugnissen? Um vom Leben ihrer russisch-jüdischen Familie erzählen zu können, erschafft Maria Stepanova einen Gedächtnisraum, in dem die Stimmen einer ganzen Epoche widerhallen und Dinge des privaten Lebens zu Exponaten eines Geistermuseums werden." (Quelle: Klappentext; hier ein Interview mit der Übersetzerin Olga Radetzkaja)

Ich hoffe, dass ich bald dazu komme, den Roman zu lesen, im Moment ist mein Alltag zu unruhig, um mich auf einen solch komplexen Text einzulassen, es wäre Verschwendung, jetzt damit anzufangen.

Aber der Hinweis auf die Porzellanfigur, die so vieles verkörpert, ist vielversprechend, darin steckt die Idee einer literarischen "Ding-Biografie". Als literarisches Phänomen gibt Ding-Biografien schon seit dem Mittelalter, das "magische Schwert", das Amulett, der Fetisch usw., all die Erzählungen, die sich damit verknüpfen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Was würde denn passieren, wenn man die Porzellanfigur wegwirft? Bleibt die zugehörige Geschichte dann nicht trotzdem im Gedächtnis, erst recht? Umso prägender - weil sie das sowieso immer schon war?

Das magische Schwert im Mittelalter-Epos kehrt schließlich auch immer wieder zu seinem rechtmäßigen Besitzer (oder dessen männlichen Nachfahren) zurück. Man kann es nicht loswerden, nur weil man es will; das magische Ding wird erst verschwinden, wenn es sein Schicksal erfüllt hat - oder: wenn sein Schicksal sich erfüllt hat -, dann fällt es meist in ein loderndes Feuer und verglüht oder so ähnlich, und die Geschichte ist zu Ende, auserzählt. Das wäre jedenfalls eine typische Dramaturgie.

Um auf die Frage zurückzukommen, wer die anderen sind - Porzellanfiguren, magische Schwerter, vergangene und gegenwärtige Stimmen, Erinnerungen an gestern und vorgestern, Pläne für morgen und übermorgen, Begegnungen von heute usw. usf.

Das scheint mir eher auf eine gewisse Form von „Wahnsinn“ hinzuweisen, zu glauben, ich sei autark, könnte das alles mit mir alleine ausmachen.

Der gelebte Augenblick mag dunkel sein, erst mal sprachlos, aber was sind wir ohne die andern?

Unmittelbar, genau jetzt, genau hier

Boggy, Mittwoch, 16.06.2021, 13:07 (vor 1038 Tagen) @ stefan

Wir leben immer im Hier und Jetzt, und diese Erfahrung ist stets neu und unmittelbar. Da gibt es keine Bilder und keine Geschichten, keine Vergangenheit noch Zukunft.

Ein paar kurze Randbemerkungen zu einem komplexen Thema.
Es gibt einen Unterschied zwischen Bewußtheit und Selbstbeobachtung.
Bewußtheit ist nicht Selbstbeobachtung. Bei Selbstbeobachtung laufe ich Gefahr zum Verfolger meiner selbst zu werden. Bei Bewußtheit bin ich eins mit mir im gegegnwärtigen Augenblick. Unmittelbar.

Die Vergangenheit existiert nicht (mehr). Die Zukunft existiert (noch) nicht.
Aber:
Hier und jetzt kann ich mich erinnern an etwas aus der Vergangenheit. Diese Erinnerung geschieht jetzt und genau hier. Unmittelbar. Ich bin eins mit der Erinnerung.
Ich bin mir bewußt, daß ich mich erinnere. Diese Erinnerung ist wundervoll. Sie macht mir Freude. Ich bin eins mit der Freude. Unmittelbar. Ich bin mir bewußt, daß ich mich freue. Ich bin eins mit der Bewußtheit der Freude.

Hier und jetzt kann ich planen, für etwas, das in der Zukunft liegt. Dieses Planen geschieht genau jetzt. Unmittelbar. Ich bin eins mit dem Planen. Jetzt zu planen tut mir gut. Unmittelbar. Ich bin eins mit dem Mir-gut-tun. Ich bin mir bewußt, daß ich mich gut fühle. Ich bin eins mit der Bewußtheit des Gut-fühlens.

Soweit …

Gruß
Boggy
flowers

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Um unserer persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit willen müssen wir immer wieder die Saat des kritischen Verstandes und des begründeten Zweifels säen.

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