Titan eins (Allgemeines)
Seit Wochen gehe ich durch die Bude und frage mich, was brauche ich noch dringend in meinen letzten Lebenswochen und was kann weg?
Alles was ich ein Jahr lang nicht benutzt habe, muss gehen.
Es sind die wahnsinnig schönen Teile, die niemand mehr braucht.
Ich darf da nicht hingucken, dann klebe ich fest wie ein Klimakleber.
Wie habe ich sie denn weggekriegt?
Ich habe einfach zwei Drittel der Regale mit den Herumstehchen in Bringmeister Papiertüten gepackt.
Auf diese Weise verschwand die Murano Glassammlung mit Barovier, Toso, Archimedes Seguso, Zanfirico sowie Lauschaer Glas...
Vor dem Haus abgestellt, hörte ich schon nach wenigen Minuten ein Klappern, und die gesamten Tüten wurden davongetragen.
Ich inseriere fleißig bei der Nachbarschaftsapp "zu verschenken".
So verschwand die brasilianische Designercouch von Jean Gillon, deren Jacaranda Rahmen man mit dem kleinen Finger der Hand auseinandernehmen kann.
Und die Marmorkanten für Beet oder Grab.
Und das kleine Mikroskop, das große bleibt.
Alle Bücher wurden von den Nachbarn in die Papiercontainer versenkt.
Ein paar Freunde hatten vorher durchgeflippt.
Gerade Ernst Jünger wurde gern davon getragen.
Von meinem Badkumpel.
Der berühmte Jazzmusiker, der bevorzugt bei dem weltberühmten Künstler die Ausstellungen in der Welt eröffnete und dem ich in meiner Jugend zu den Auftritten folgte.
Seine Frau möchte gern, das der Kontrabass im Wohnzimmer bleibt, weil es schön aussieht.
Aber Christoph weiß, das ein wertvolles Instrument immer gespielt werden muss.
Er braucht einen neuen Bassisten, der Bass.
Ich verstehe das.
Und das es nicht einfach ist.
Ich hatte dreimal schon Bibliotheken aufgelöst, zurück waren nur noch die Bände mit sehr persönlichem Bezug geblieben, mit Widmung, sowie edle Geschenke etc.
Ich war in meinem früheren Leben gern bei Lesungen.
Von ganz besonderem Zeugs habe ich mir im gesamten fünfmal eins gegönnt, fünf Bücher also.
Und fünf Krimis, die ich noch nicht gelesen habe.
Ich dachte, ich hätte es einfacher mit den Büchertischen lösen können, aber kostenlos abgeholt wird immer erst in vielen Monaten und das dauerte zu lange.
So haben sich sechs verschiedene Nachbarn an der Trage Aktion beteiligt.
Dienstag, als die fünf Tonnen frisch geleert waren.
Mehrere Kästen geschriebener Artikel verschwanden.
Ich merke es nicht, seit 30 Jahren weiß ich nicht mehr, was da steht.
Stapel geschriebener Tagebücher.
Lese ich nie wieder.
Eines der Bücher aus der Tonne hatte offenbar ein anderer unbeteiligter Nachbar herausgefischt und im Designladen an der Ecke auf das Fensterbrett gestellt, wo es einen Tag blieb.
Es war: "Wir verschweben, wir verschwinden" von Egon Gomringer, der 99 Jahre alt ist, ein peruanisch Schweizer Dichter, mit Aquarellen vom Fluss im Morgenlicht.
Gomringer erzählte bei einer Lesung in der Humboldt Uni von seiner indigenen Mutti, die als Analphabetin unerschrocken durch Paris und London per Bus und Bahn fuhr und immer genau da ankam, wo sie auch hin wollte.
Das Buch bekam ich vor fünf und dreißig Jahren von der Ehefrau meines Bildhauerfreundes.
Mit allen Dingen ist man so verbandelt.
Ich hatte schon selbst die selbst geschriebenen Bücher in die Tonne gehauen, als mein Orthopäde mich in ein Gespräch verwickelte und ich ihm dann ein gerettetes aus der Tonne in der Praxis vorbei brachte.
Es wird ja nur Dienstags geleert.
Und drei meiner Bücher schleppte ich also dann wieder nach oben.
Ich finde sie echt spannend, wenn ich darin lese.
Manchmal bin ich über mich irritiert.
Und wäre gern eine andere.
Es fanden sich immer noch besondere Higheels in den Ecken, die ich offenbar versteckt hatte.
Und viele ganz normale Schuhe "gehen" nicht mehr.
Zurück blieben einige Regalreihen Santoni, men style, gebraucht gekauft, das ziehe ich nun zu allem an.
Und ich trage ja nur Kleider.
Von denen verschwanden nun die ganzen langen Seidenkleider wegen drauf treten.
Ich hätte das alles schon viel früher machen können.
Was habe ich mir nur dabei gedacht?
Heute muss ich lange nachdenken, bis ich den richtigen Entschluss fasse.
Erst wollte ich alle Bilder entsorgen, organisierte einen Künstler, der sich daraus die Keilrahmen hätte schneiden können, dann entschied ich mich ganz anders und trat die Nielsen Rahmen, Passepartout Kartons und Passepartout Schneider an eine Galerie ab.
Wenn die das nicht alles geholt hätten, wäre ich nie gerettet gewesen.
Die Bilder, z.B. die, die ich in den Neunzigern bei einem Gast Jahr in der Düsseldorfer Akademie schuf.
Die sind schon auf ein rotes Porsche Dach geschnallt herum gefahren.
Ein Bänker Norbert, dem ich meine Wohnung vermietete, hatte sich gekümmert.
Was wird er wohl machen jetzt?
Zuletzt war er in der Klapper gelandet.
Die Bilder packte ich demnach aus und sie gefielen mir und nun stehen sie vor dem Regal, das sie gnädig verdecken.
Sie sind sehr groß.
Was mache ich mit der Kunstsammlung von anderen Leuten?
Die Bronzen sind nun auf der Terrasse nahe der Wand.
Ich hatte nie gesehen, wie schön sie bei Regen wirken.
Die Graphiken nehmen wenig Platz weg und können in Ruhe über Auktionshäuser gehen.
Die Küche, versicherten mir meine Helfer, wird einfach sein.
Zwei Löffel, zwei Gabeln, zwei Messer, zwei Tassen, zwei Teller.
Über Corona Zeiten war meine Behausung eine echtes Messi Heim geworden.
Ich ertappte mich dabei, das ich Sachen über Ebay bestellte, weil ich nicht wusste, in welcher Ecke sie sich befanden.
Und als der Garderobenständer zusammenbrach, musste ich mir einen Gang zum Bett graben.
Nun kann ich mit dem Rollator durch sausen und stoße nirgendwo an.
Es geht ganz gut, als ob es schon immer so gewesen wäre.