für den einen ist es die große Erleichterung, wenn etwas nicht genetisch-obligatorisch-unaufhaltsam kommt.
Für einen Anderen, ist das nur ein Ansatz einer Schuldzuweisung.
Beim Thema "Lebensstil" werde ich immer hellhörig und wachsam, weil es eine bedeutende, politische Dimension hat.
Da wird dann schnell das Schlagwort der "Selbstverantwortung" oder der "Eigenverantwortung" ins Spiel gebracht. (Alltagssprachlich heißt das dann "Du bist selbst schuld", wobei hier nichts Moralisches oder Religiöses gemeint ist, sondern "Du hast Dich falsch verhalten, obwohl Du anders gekonnt hättest.")
Unter genau diesem Schlagwort sollen und werden, mal mehr mal weniger, soziale und politische Maßnahmen durchgesetzt, die nur den Zweck hatten, dem Einzlenen die angebliche Verantwortung zuzuschieben, und soziale Sicherungssysteme, eigentlich Aufgaben der Gesellschaft als Ganzes, zurückzufahren, und dem Einzelnen Bürger mehr Lasten aufzuerlegen.
Das alles geschieht im Interesse der bestehenden ökonomischen und politischen Machtverhältnisse, im Interesse der Umverteilung gesellschaftlicher Finanzmittel in die Hände des Kapitals, seien es Einzelpersonen oder Konzerne etc..
Das Schlagwort "Selbstverantwortung" ist Teil der Propanganda-Maßnahmen in diese Richtung, und es wird in alle gesellschaftlichen und persönlichen Bereiche hineingetragen, um zu verschleiern, daß es unzählige Entwicklungen, Einflüsse, Ereignisse etc., gibt, aus der Gesellschaft, Wirtschaft, Politk, Umwelt heraus, auf die wir gar keinen Einfluß haben, die sich also unserer persönlichen Kontrolle entziehen.
Keinerlei kritisches Hinterfragen, wie denn ein "Lebensstil" zustande kommt. (Die im tagesschau-Artikel zitierte Studie macht da in ersten Ansätzen eine erfreuliche Ausmahme.)
Ansonsten keinerlei Analyse, wie ein "Lebensstil" entsteht, geprägt wird durch gesellschaftliche Fremdeinflüsse, ökonomische und politische Zwänge, die auf den Einzelnen einwirken und denen er sich nicht entziehen kann. Und die wiederum auch seine psychische Verfassung prägen, und Grenzen der psychischen Möglichkeiten schaffen.
Stattdessen, viele Ratschläge/Forderungen an den Einzelnen und sein Verhalten.
Dem Einzelnen wird die Bürde der Verantwortung auferlegt, und es wird behauptet, er könne, wenn er nur wolle.
All die inneren und äußeren Begrenzungen, die unserem "Wollen" gesetzt sind, werden ausgeklammert. Kein Wort zu unbeeinflußbaren Hindernissen.
Das eben ist das Gefährliche an dieser Art von Vorstellung.
Zur MS:
Beim Thema "Lebensstil" oder "Lebensumstände" handelt es sich höchstens um Randbedingungen der Krankheit.
Diese Randbedingungen sind NICHT URSÄCHLICH für die MS.
Ein vereinfachtes Argument (unter vielen möglichen, anderen): Wären sie ursächlich für die MS, dann müßten so viel mehr Menschen MS haben;
denn viele Millionen von Menschen haben eine ähnliche Ernährung, leben in derselben Zivilisation, unter ähnlichen Lebensbedingungen, unterliegen ähnlichem Stress oder haben ähnliche psychische Strukturen ausgebildet.
Es kann also z.B. nicht sein, daß hier die Ursachen für MS ist, wenn Millionen von Menschen in ähnlicher Weise leben, aber nur rund 250 000 an MS erkranken.
Was beim bereits Erkranktsein an MS durch Lebensstilmaßnahmen tatsächlich, also überprüfbar gesichert, unternommen werden kann, um positiven Einfluß zu nehmen, muß im Einzelfall erwiesen werden.
Und nach meinem Wissensstand ist da kaum etwas gesichert erwiesen, sondern maximal gibt es gewisse Wahrscheinlichkeiten oder sonst vage Möglichkeiten usw.
Für jeden oder jede, der/die bis hierhin mit dem Lesen durchgehalten hat, ein herzliches Danke!
Gruß
Boggy
(ein tag "Lebensstil" wäre erfreulich)