immer wieder MRTs mit Kontrastmittel (Allgemeines)

W.W. @, Dienstag, 12.12.2017, 12:56 (vor 2299 Tagen) @ Francesca

Zu den MRT-Kontrollen habe ich einmal geschrieben:

Kann man die Basistherapie probeweise absetzen?
Es gibt eine Reihe von Gründen, warum man mit dem Gedanken spielen kann, die Beta-Interferone bzw. das Glatirameracetat probeweise abzusetzen. Die häufigsten sind:
1. Es besteht ein Kinderwunsch.
2. Man ist „spritzenmüde“.
3. Man findet keine gesunde Stelle mehr auf seiner Haut.
4. Die Nebenwirkungen beeinträchtigen die Arbeitsfähigkeit oder die Lebensqualität.
5. Es treten Depressionen auf, die möglicherweise durch die Medikamente verstärkt werden.
6. Man hat das Gefühl, das Präparat wirkt nicht mehr.
7. Die MS ist in das progrediente Stadium eingetreten.

Es gibt eine magische Vorstellung, die sich auf die Lebensweisheit „Never change a winning team.“ zurückführen lässt: Wenn man sich erst einmal dazu durchgerungen hat, sich mit einem Medikament behandeln zu lassen, und es einem gut geht, dann sollte man froh und dankbar sein und alles lassen, wie es ist. Irgendwie hat man das Gefühl, man werde bestraft, wenn man probehalber auf die Therapie verzichtet.

Sicher ist es vernünftig, bewährte Handlungsweisen beizubehalten. Für eine medikamentöse Therapie ist aber das Gegenteil empfehlenswert. Man sollte immer nach einer gewissen Zeit probieren, ob man das Medikament wirklich noch braucht. Das gilt für Antidepressiva ebenso wie für Antiepileptika. Wenn jemand z.B. wegen zwei oder drei Anfällen auf z.B. Tegretal® dreimal 200 mg eingestellt worden ist und drei Jahre anfallsfrei ist, dann ist natürlich zu erwägen, ob er das Medikament wirklich noch braucht. Falls das EEG nicht eine massiv erhöhte Krampfbereitschaft zeigt, wird er das Tegretal® unter Aufsicht seines Arztes langsam ausschleichen, meistens in Stufen von 200 mg pro Halbjahr.*

Dasselbe gilt für Medikamente, die den Blutdruck anheben oder die Konzentrationsfähigkeit steigern sollen. Wenn man merkt, dass man sich nach dem Absetzen wieder schlechter fühlt, kann man es ja wieder ansetzen, und nichts spricht dafür, dass es dann schlechter oder gar nicht mehr wirkt.* Natürlich gibt es auch Fälle, bei denen ein Absetzversuch gefährlich werden kann, z.B. wenn jemand eine künstliche Herzklappe hat und auf ein Blutgerinnungsmittel (Marcumar®) eingestellt ist.

In den meisten Fällen gibt es einen verlässlichen Wert, an dem man sich orientieren kann, wie sich das Absetzen auswirkt: den Blutdruck, das Cholesterin im Blut oder den Quick-Wert (Wert, der die Blutgerinnung misst). Bei den Beta-Interferonen oder dem Copaxone® ist das anders. Man merkt nicht wirklich, ob sie anschlagen oder nicht - und man kann es auch nicht messen. Selbst wenn man unter dem Medikament jahrelang schubfrei ist, ist das kein verlässlicher Hinweis; schließlich gehört es zum natürlichen Verlauf der MS, dass die Schübe im Laufe der Zeit immer seltener werden, und es kann auch sein, dass die Schubfreiheit ein Zeichen dafür ist, dass der Übergang in das progrediente Stadium erfolgt.

NEDA
Oft wird als Therapieziel die »Freiheit von klinisch relevanter und messbarer Krankheitsaktivität« definiert. Man spricht auch von NEDA (no evidence of disease activity). Dies bedeutet: keine Schübe, kein Fortschreiten der Behinderung und keine Aktivität im Kernspintomogramm (MRT). Nach Jutta Scheiderbauer von der TAG ist „das NEDA-Therapiekonzept weder evidenzbasiert noch individuell zugeschnitten. Es führt zu einem konsekutiven Durchprobieren zugelassener Immuntherapien, ohne Berücksichtigung potenzieller kumulativer Risiken und Spätfolgen. Bedenkt man zusätzlich die Diagnoseausweitung auf leichte klinische Verläufe infolge der Einführung der McDonald-Kriterien ab 2001, laufen MS-Betroffene derzeit Gefahr, durch Nebenwirkungen größeren Schaden zu erleiden, als sie von der MS allein zu erwarten gehabt hätten."

Wie ich von meinen Patienten höre, reagieren manche Neurologen mit großer Besorgnis (und von den Pharmafirmen geschulte so genannte MS-Krankenschwestern geradezu hysterisch), wenn Sie den Wunsch äußern, versuchsweise einmal eine Zeit lang auf die Spritzerei verzichten zu wollen. Warnend erheben sie ihre Stimme, ob Sie sich das wirklich gut überlegt hätten?! Ob Sie das Schicksal herausfordern wollten, jetzt wo es Ihnen gerade so gut gehe und die MS Ruhe gäbe. Sie würden viele kennen, die einen solchen Schritt schon bitter bereut hätten usw. usw.

Vor allem die letzte Drohung ist schlichtweg falsch. Es gibt in der Literatur keine Berichte darüber, dass sich eine MS nach dem Absetzen von Beta-Interferonen dramatisch verschlechtert hätte. Und auch aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass dies bei meinen Patienten bisher niemals vorgekommen ist. Jetzt müsste ich eigentlich auf Holz klopfen. Denn selbst wenn die Beta-Interferone tatsächlich wirkungslos wären, müsste es nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit irgendwann einmal während der ersten Wochen und Monate nach dem Absetzen rein zufällig zu einem Schub kommen. Aber wie gesagt – meinen Patienten, die abgesetzt haben, ist das bisher nicht passiert. Und vergessen Sie nicht: Auch die netteste MS-Krankenschwester wird genau von der Firma bezahlt, die Interesse daran hat, dass Sie bei der Stange bleiben.

W.W.

PS: Hierbei geht es allerdings nicht um KM.

Tags:
McDonald-Kriterien


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