EBV, MS, und der übliche Experte (Allgemeines)
Der übliche MS-Experte tut sich, aus meiner Sicht, schwer mit der komplexen Lage um das Epstein-Barr-Virus (EBV) und macht es sich lieber etwas einfacher. So z. B. Prof. Dr. Klemens Ruprecht, Charité, in der letzten Ausgabe der dmsg-Zeitschrift "aktiv!" (1/2025, S.32/33 ).
Er schreibt einen zusammenfassenden Artikel zum Thema, und da heißt es zunächst:
"... liegen nun aber zahlreiche, übereinstimmende und überzeugende Arbeiten vor, die für eine Schlüsselrolle des Epstein-Barr-Virus (EBV) in der Entstehung der MS sprechen."
"Schlüsselrolle" ist noch eine etwas vorsichtige Formulierung, die ich in dieser Weise - mit Vorbehalt (further studies ) - hinnehmen kann;
"zahlreiche, übereinstimmende und überzeugende Arbeiten" finde ich dann doch schon etwas fragwürdiger = da kann man durchaus mal kritisch nachfragen.
Aus "Schlüsselrolle" wird dann etwas später: "zentrale Rolle", und dafür "sprechen" aus Sicht des Autors "die folgenden Befunde", die er nun nennt.
Da fällt zunächst eine eigenartige Logik auf:
Zitat: "Sehr viele Studien zeigen, dass im Gegensatz zu der 90 bis 95-prozentigen Infektionsrate mit EBV in der Allgemeinbevölkerung praktisch alle Menschen mit MS (MmMS) mit EBV infiziert sind."
Ja nun ... "90 bis 95-prozentige Infektionsrate mit EBV in der Allgemeinbevölkerung" ist doch kein Unterschied zu "praktisch alle Menschen mit MS". Wenn 90 bis 95% der Menschen "in der Allgemeinbevölkerung" mit EBV infiziert sind, ist doch anzunehmen, daß auch "praktisch alle Menschen mit MS" mit EBV infiziert sind, oder? Inwieweit ist das ein besonderer Befund?
Es folgt die Aussage:
"Das Risiko für eine spätere Entwicklung einer MS ist nach einer infektiösen Mononukleose ungefähr doppelt so hoch wie nach einer klinisch symptomlosen EBV-Erstinfektion." Mal abgesehen davon, daß er hier die Studie nicht nennt, bleibt die Frage, was das denn nun beweisen soll, oder zumindest stützen soll. Auch bei einer "klinisch symptomlosen EBV-Erstinfektion" ist EBV nun im Körper. Ist das EBV bei einer einfachen Infektion in bezug auf MS anders zu beurteilen als bei der Mononukleose - fragt sich ein Laie. Und wenn ja, warum?
Weiter:
"MmMS haben höhere Antikörperspiegel gegen EBV und wahrscheinlich auch mehr gegen EBV gerichtete Abwehrzellen (T-Lymphozyten) im Blut." Ich will ja textanalytisch nicht zu penibel sein, aber das "wahrscheinlich" fällt mir hier doch auf (weiß mans nicht genau?). Es fehlt wieder die Studie/Quelle. Schlußfolgerung?
Nun folgt wieder einmal der Hinweis auf die Science-Studie von 2022 (Bjornevik et. al.).
(=> https://www.science.org/ )
Eine kritische Relativierung der Studienergebnisse findet auch hier, wie so oft, nicht statt. Wobei schon allein die kritischen Stimmen zur Studie, die man in den "eLetters" am Ende des Artikels findet, zahlreiche Hinweise auf die Beschränktheit der Studie liefern.
(s. dazu z.B. => https://www.ms-ufos.org/index.php?id=80716 )
Prof. Ruprecht schreibt zunächst, daß es einen "sehr starken Hinweis" auf eine "wesentliche Rolle" von EBV be der MS gebe. Die Untersuchung (Science-Studie s.o.) zeige, "Eine EBV-Infektion geht dem klinischen Ausbruch einer MS praktisch immer voraus." Also, "praktisch immer" ist nicht "immer", oder?
Nur ein paar Sätze weiter ändert sich die Aussage von der feinen Einschränkung hin zu => "Auch wenn es demgemäß ohne EBV-Infektion keine MS gibt (...)". Das ist nun eine absolute Aussage, ohne Einschränkungen; und die steht z.B. im Widerspruch mit einem Kommentar in den "eLetters" zur Science-Studie, wo es heißt:
"Auch EBV-negative Kinder können klinische MS entwickeln (12, 13), was darauf hindeutet, dass eine EBV-Exposition weder notwendig noch ausreichend ist, um die Krankheit auszulösen." (eLetter vom 'Jan. 25, 2022')
(s. dazu => https://www.ms-ufos.org/index.php?id=80717 )
Das Fazit des Autors sieht dann so aus:
"Zusammenfassend sprechen die gegenwärtigen Daten dafür, dass eine EBV-Infektion der entscheidende ursächliche Faktor für die MS ist."
"DER entscheidende ursächliche Faktor für die MS" ist aus meiner Sicht nicht belegt.
Die sprachlichen, feinen Relativierungen und Einschränkungen der Aussagen, die sich quasi unter der Hand in diesen und ähnliche Artikel oft einschleichen, stehen ebenfalls oft im Widerspruch zu den vollmundigen Behauptungen, die gleichzeitig gemacht werden.
Gruß
Boggy
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Um unserer persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit willen müssen wir immer wieder die Saat des kritischen Verstandes und des begründeten Zweifels säen.