Spezielle Logik (Therapien)

W.W. @, Donnerstag, 15.02.2018, 16:28 (vor 2264 Tagen) @ Michael27

Das ist ein Jammer!:-(

Stimmt es eigentlich, dass Achilles die Schildkröte nie einholen kann, wenn er ihr einen Vorsprung gibt? Auch wenn er noch so klein ist. Alle Studienräte und Oberstudienräte tun immer so, als ob Zenon schrecklich naiv gewesen sei und einfach die moderne Mathematik nicht kannte mit unendlichen Mengen und so.

Ich schrieb dazu:
„Meinst du, eine elegante Lösung könnte falsch sein?“
„Sie könnte uns in die Irre führen. Es gibt den Spruch „Simplex sigillum veritatis“, also, dass das Einfache das Wahre ist. Allerdings habe ich eher das Gefühl, das Einfache sei etwas für den Physiksaal und das Wahre ist sehr kompliziert. Jeder Vorstadtgaukler kann uns betrügen, weil wir auf das Einfache hereinfallen. Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, als ich in der Schule von Achilles und der Schildkröte hörte. Ich war von beidem fasziniert: einerseits von Zenons Paradoxon, dass Achilles die Schildkröte nie einholen kann, und andererseits von der Mathematik der unendlichen Mengen.“
„Ja, wenn ½ + ¼ + 1/8 + 1/16… usw. addiert, dann wird die Summe zwar immer mehr, aber wie häufig man auch addiert, man erreicht einen Grenzwert und kommt man nicht über 1 hinaus. Ganz einfach deshalb, weil das, was dazu kommt, immer kleiner wird.“
Ich hatte sie unterschätzt, denn sie antwortete:
„Du irrst, auch dann, wenn man immer weniger addiert, kann es unendlich viel werden.“
„Wie kommst du darauf?“
„Nikolaus von Oresme hat berechnet, was ½ + 1/3 + ¼ +… ergibt“, sagte sie schlicht.
Ich hatte den Namen nie gehört.
„Wer ist das?“
„Ein Theologe aus dem Spätmittelalter“, sagte sie schlicht. „Seine Ableitung ist ziemlich genial. Er fasste die ersten zwei Glieder zusammen, also ½ + 1/3, die sicherlich größer als 2mal 1/3 sind, dann die nächsten 4 (1/4 + 1/5 + 1/6 + 1/7), die auch sicherlich größer als 4mal das kleinste Glied 1/7 sind, also größer als 4mal 1/7, dann die nächsten 8 usw. Jedes Mal ist die Summe größer als 1/2 , und weil man das unendlich oft tun kann, ist die Gesamtsumme unendlich.“
Ich war überrascht.
„Das hätte ich nicht gedacht, dass man schon im Mittelalter so tiefsinnige Gedanken haben kann.“
„Du musst nur an William von Baskerville in Ecos ‚Name der Rose’ denken“, sagte sie. „Er war übrigens Franziskaner wie Nikolaus von Oresme auch.“
Weil ich das sehr interessant fand, fragte ich nach.
„Hatte dieser William eigentlich ein philosophisches Vorbild?“
„Ja, man denkt, es ist Wilhelm von Occam, der ja ‚“William’ auf Englisch heißt. Und Wilhelm von Occam war der Lehrer von Nikolaus von Oresme.“
„Interessant.“
„Noch interessanter ist das, was er gelehrt hat. Er war nämlich der Ansicht, dass es genauso viel gute Gründe gäbe, die für die geozentrische wie für die heliozentrische Theorie sprächen, und behauptete, mit jeder dieser beiden Theorien ließe sich alles bisber Bekannte erklären. Daher sei es unmöglich, sich für eine der beiden zu entscheiden. Im Grunde genommen war er der Vorgänger von Kopernikus, obwohl er im 14. Jahrhundert lebte. Aber das weiß niemand.“
Wir waren an eine Stelle gekommen, wo es nicht mehr weiterzugehen schien. Vor uns war die ‚Eiserne Pforte’. Die Felsen steigen mehrere hundert Meter senkrecht an, und der Durchgang zwischen ihnen beträgt drei oder vier Meter. Auch als wir Schuhe und Strümpfe ausgezogen hatten, kamen wir zwar auf die andere Seite, aber es wäre verrückt gewesen, entlang der Felsen auf einem Vorsprung über das reißende Wasser zu balancieren.
...

Ich stehe ziemlich allein da, weil ich sicher bin, jede Bewegung ist eigentlich eine Unmöglichkeit, und ich bin auch ziemlich sicher, dass man nicht mit unendlichen Mengen rechnen darf!

W.W.

PS: Wie man sieht, stecke ich mitten in meinem neuen Buch. Aber natürlich sollten Sie nur etwas dazu schreiben, wenn es Ihnen Spaß macht!!!


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